„Keine Besserung in Sicht“: Fanforscher über Gewalt und Macht der Rostocker Ultras

Foto: Screenshot Youtube

Die Fans von Hansa Rostock sorgen seit Jahren für Negativschlagzeilen. Rassistische Beleidigungen, Vandalismus, Gewalt und geschmacklose Provokationen, die Liste der Vorfälle ist lang. Verein und Polizei scheinen das Problem nicht in den Griff zu bekommen. In einem Interview mit ran.de hat Fanforscher Dr. Harald Lange über die Ursachen und mögliche Lösungsansätze gesprochen.

“Sie liefern immer wieder Beispiele”

Lange sagt, dass es zwar in vielen Fanszenen in Deutschland Ausschreitungen gebe, die Rostocker Anhänger jedoch in Intensität und Häufigkeit besonders auffallen: „Die Fans von Hansa Rostock fallen regelmäßig durch Gewalt und Grenzüberschreitungen auf. Das passiert nicht nur punktuell, sondern schon seit vielen Jahren“, so der Experte. Gleichzeitig erkenne die Vereinsführung zwar den Imageschaden, es fehle jedoch an Durchsetzungskraft, um konsequent gegenzusteuern.

Kein Ost-West-Problem, sondern soziale Ursachen

Oft wird die Frage gestellt, ob gerade ostdeutsche Vereine besonders von Gewalt betroffen seien. Lange widerspricht einer rein geografischen Erklärung: „Es fällt auf, dass Rostock oder Dresden häufig in den Schlagzeilen stehen. Aber es wäre zu einfach, daraus ein Ost-West-Problem zu machen.“ Vielmehr hänge Gewaltbereitschaft eng mit sozialen Faktoren zusammen, Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit oder mangelnde Bildungschancen. Diese Probleme gebe es sowohl im Osten als auch in westdeutschen Industriestädten.

Gewalt als Ventil für Frust

Die Palette der Vergehen in Rostocks Fanszene reicht von Rassismus bis hin zu homophoben Schmähungen. Für Lange ist klar: Dahinter steckt meist weniger eine politische Botschaft, sondern vielmehr das Ablassen von Frust. „Viele Jugendliche fühlen sich perspektivlos oder isoliert. Im Stadion entlädt sich das in einer Gruppendynamik, die Hemmungen abbaut und Aggressionen eskalieren lässt.“

Geschmacklose Provokationen ohne Lerneffekt

Besonders auffällig ist für den Forscher die bewusste Grenzüberschreitung der Rostocker Ultras. Rassistische Banner oder geschmacklose Provokationen seien keine Dummheit, sondern kalkulierte Provokation. „Die wissen genau, was sie tun – und sie nehmen in Kauf, sich ins Abseits zu manövrieren. In Rostock tritt das in erschreckender Vielfalt auf, ohne erkennbaren Lerneffekt.“

Kann sich die Lage bessern?

Auf eine schnelle Besserung will Lange nicht wetten: „Es wäre eine kleine Sensation, wenn die Hansa-Fans in absehbarer Zeit friedlich bleiben würden.“ Hoffnung setzt er eher in langfristige Entwicklungen. Erst wenn eine Fangeneration „aus dem Krawallalter herauswächst“, könne sich etwas ändern. Entscheidend sei, dass sich destruktive Muster nicht auf die nachwachsende Generation übertragen. Erste Veränderungen seien nach drei bis vier Jahren möglich, ein echter Wandel brauche aber zehn bis zwölf Jahre.

Verein zwischen Machtlosigkeit und Abhängigkeit

Die Rolle des Vereins beschreibt Lange als heikel. Ein einfaches „Durchgreifen“ sei kaum möglich, da sich die Fanszenen über Jahre eigene Machtstrukturen aufgebaut hätten. Ein Bruch im Dialog könne den Verein sogar den letzten Zugriff kosten. Wichtig sei deshalb, dass Hansa Rostock – wie von der DFL vorgeschrieben – den Club-Fan-Dialog ernsthaft betreibe und ihn nicht als Einbahnstraße verstehe.

Ultras mit zu viel Macht

Besonders problematisch sieht der Forscher den harten Kern der Ultras. Anders als klassische Hooligans früherer Jahrzehnte seien sie es, die heute durch Provokationen und Eskalationen im Vordergrund stünden. „Sie haben zu viel Einfluss und reißen immer wieder neue Mitglieder mit. Das ist der Hauptgrund, warum die Ausschreitungen nicht abreißen.“

Kleine Gruppe, große Wirkung

Tragisch sei, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Hansa-Anhänger für die Ausschreitungen verantwortlich sei – die Außenwirkung für Verein und Stadt aber verheerend sei. „Die Mehrheit kommt wegen des Fußballs, viele lehnen das negative Image ab. Genau diese Kräfte müsste man stärken.“

Blick nach vorn

Für die Zukunft bleibt Lange skeptisch. Zwar sei ein Neuanfang theoretisch möglich, doch die nächsten Wochen würden entscheidend sein: „Bleiben die Fans unauffällig, kann man vorsichtig optimistisch sein. Kommt aber gleich der nächste Tiefpunkt, wird es sehr schwer.“

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